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“Knöllchen” als mildestes Mittel
Die Polizeibehörden haben bei der Abwehr von (potentiellen) Gefahren ein Mittel zu wählen, das geeignet ist, die Gefahr zu beseitigen. Ein „Knöllchen“ ist generell kein geeignetes Mittel um eine Verkehrsbehinderung/-Gefährdung zu beseitigen, da das Fahrzeug auch mit Knöllchen genauso im Weg steht und andere Verkehrsteilnehmer behindert/gefährdet. Es muss eine alternative Maßnahme gewählt werden:
Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen haben die Gefahrenabwehr- und die Polizeibehörden diejenigen Maßnahmen zu treffen, die die einzelne Person und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigen.
— § 4 Satz 1 Hessisches Gesetz für Sicherheit und Ordnung (Fassung der Bekanntmachung vom 14. Januar 2005), Hervorhebung durch uns
Telefonische Kontaktaufnahme/Recherche vor Abschleppmaßnahme notwendig
Oftmals wird versucht, als mildestes Mittel den Halter telefonisch zu erreichen, bevor weitere Maßnahmen eingeleitet werden. Neben dem zeitlichen Aufwand stellt sich die Frage, ob man sich mit einem einfachen Zettel der Konsequenzen entziehen kann:
[…] Selbst wenn die im Fahrzeug hinterlassene Nachricht alle erforderlichen Angaben enthält, sprechen spezial- und generalpräventive Aspekte gegen eine Nachforschungspflicht. Es würde die Straßenverkehrsordnung konterkarieren, wenn der Fahrer für seinen Regelverstoß zwar bewusst ein Bußgeld in Kauf nehmen, jedoch durch seine Nachricht einen Abschleppschutz herbeiführen könnte. Hinzu kommt, dass selbst die aktuellen Bußgelder angesichts der Höhe der Parkgebühren nicht hinreichend abschreckend wirken.
— Prof. Dr. Frank Wittgruber, hauptamtlich Lehrender im Bereich Rechtswissenschaften an der hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung: „Erläuterungen zum hessischen Gesetz für Sicherheit und Ordnung“, Kapitel 3.2 „Erforderlichkeit von Abschleppmaßnahmen“, abrufbar an jedem Dienstrechner der Landespolizei Hessen
Konkrete Behinderung/Gefährdung ist für Abschleppmaßnahme notwendig
Gerne wird seitens der Polizei darauf verwiesen, dass zwingend eine konkrete Behinderung oder gar Gefährdung notwendig sei, damit ein Abschleppvorgang verhältnismäßig ist. Sobald es jedoch zu einer konkreten Behinderung/Gefährdung kommt, ist es bereits zu spät. Auch Prävention ist Aufgabe der Polizei!
Für die Angemessenheit des Abschleppens ist es nach der Rechtssprechung grundsätzlich unerheblich, ob es neben dem formalen Verstoß gegen die StVO auch zu konkreten Behinderungen oder Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer gekommen ist.
Zweck der Maßnahme ist primär die Beseitigung des Rechtsverstoßes, wobei in die Abwägung zeitliche Momente, generalpräventive Aspekte und der Gedanke der Funktionsbeeinträchtigung mit einfließen.
Soweit es zu Verkehrsbehinderungen kommt, ist ein sofortiges Abschleppen erlaubt.
— Prof. Dr. Frank Wittgruber, „Erläuterungen zum hessischen Gesetz für Sicherheit und Ordnung“, Kapitel 3.3 „Angemessenheit von Abschleppmaßnahmen“, abrufbar an jedem Dienstrechner der Landespolizei Hessen
Unterbindung Nachahmereffekt/Vorbildwirkung
„Die anderen standen doch auch schon da“ – die beliebteste Ausrede von Falschparkern. Dabei hat die Polizei von Anfang an die rechtliche Möglichkeit, beim ersten Fahrzeug einzugreifen, um den Nachahmereffekt zu unterbinden. Wird die Masse an Falschparkern erst zu groß, heißt es sonst gerne sinngemäß „die können wir nicht alle abschleppen, das dauert viel zu lange“:
Das Abschleppen eines auf dem Gehweg im Bereich eines absoluten Haltverbots während längerer Zeit (hier knapp 2 Stunden) parkenden Kraftfahrzeugs ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit regelmäßig bereits dann vereinbar, wenn von dem verbotswidrigen Verhalten eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgehen kann.
— Beschluss des BverwG, AZ BVerwG 7 B 179.89, https://research.wolterskluwer-online.de/document/604520e6-deda-4e39-b086-bce38ba5854e
Polizist:innen haften angeblich persönlich für Abschleppmaßnahmen
Einige Polizist:innen haben Angst, persönlich für eine Abschleppmaßnahme bezahlen zu müssen, sollte sich der/die Halter:in rechtlich wehren.
Fälle, in denen Polizeibeamtinnen und -beamte für die Kosten von gerichtlich für unzulässig erklärten Abschleppmaßnahmen aufkommen mussten, sind nicht bekannt.
— Antwort des hessischen Innenministeriums auf eine kleine Anfrage vom 20.08.2019, http://starweb.hessen.de/cache/DRS/20/3/00933.pdf